In der betrieblichen Mitbestimmung gibt es klare Zuständigkeiten – und das mit gutem Grund. Betriebsräte und Gewerkschaftssekretärinnen haben unterschiedliche Rollen, die sich sinnvoll ergänzen, aber nicht vermischen dürfen. Während der Betriebsrat die unmittelbar gewählte Interessenvertretung im Betrieb ist, agiert die Gewerkschaft als externe, aber unterstützende Kraft. Es ist aus gewerkschaftlicher Sicht weder rechtlich zulässig noch politisch wünschenswert, dass eine hauptamtlicher Gewerkschafterin die Aufgaben eines Betriebsrats übernimmt – und seriöse Gewerkschaftsvertreter*innen wissen das auch ganz genau.
Klare Rollenverteilung: gesetzlich und gewerkschaftlich verankert
Das Betriebsverfassungsgesetz (§ 1 BetrVG) regelt eindeutig, dass die betriebliche Mitbestimmung Aufgabe des Betriebsrats ist – ein Gremium, das durch demokratische Wahl legitimiert wird. Seine Mitbestimmungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 80 ff. BetrVG) sind nicht delegierbar. Sie können – und dürfen – nicht durch Dritte übernommen werden. Auch nicht durch Gewerkschaftssekretär*innen, so engagiert und kompetent sie auch sein mögen.
Die Gewerkschaften selbst – und insbesondere ihre hauptamtlichen Vertreter*innen – halten sich aus Überzeugung an diese Trennung. Sie wissen: Eine funktionierende Mitbestimmung lebt davon, dass Betriebsräte selbstbewusst und eigenständig handeln. Ihre Aufgabe ist es nicht, die Betriebsräte zu ersetzen, sondern sie zu stärken. Das ist nicht nur eine rechtliche Notwendigkeit, sondern auch ein politisches Selbstverständnis.
Gewerkschafter*innen wollen und sollen keine Ersatz-Betriebsräte sein
Seriöse Gewerkschaftssekretärinnen lehnen es ab, betriebsratsähnliche Aufgaben zu übernehmen. Wer das dennoch tut, überschreitet eine Grenze – und handelt nicht im Sinne der Organisation. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften wie ver.di betonen immer wieder: Die Betriebsratsarbeit gehört in die Hände der gewählten Vertreterinnen im Betrieb. Gewerkschafter*innen, die das unterlaufen, gefährden nicht nur die betriebliche Ordnung, sondern auch das Vertrauen in die Gewerkschaft selbst.
Das Selbstverständnis der Gewerkschaften basiert auf Partnerschaft und Stärkung – nicht auf Übernahme und Bevormundung. Die professionelle Rolle von Gewerkschaftssekretär*innen liegt in der Unterstützung: Schulungen, rechtliche Beratung, strategische Begleitung, Konfliktmoderation – ja. Stellvertretung und Entscheidung für den Betriebsrat – nein.
Demokratische Legitimation vs. externe Einflussnahme
Betriebsräte genießen demokratische Legitimation durch die Wahl der Belegschaft. Diese Legitimation kann kein Gewerkschaftssekretär ersetzen – und sie darf auch nicht untergraben werden. Wenn eine Gewerkschafterin Entscheidungen für den Betriebsrat trifft oder sich als Sprachrohr des Gremiums darstellt, entsteht ein gefährlicher Eindruck: Dass die Gewerkschaft den Betriebsrat „führt“. Das widerspricht nicht nur dem Grundgedanken der Mitbestimmung – es öffnet auch Tür und Tor für arbeitgeberseitige Angriffe auf die Unabhängigkeit des Gremiums.
Unterstützung statt Entmündigung
Gute Gewerkschaftsarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie Betriebsräte in die Lage versetzt, ihre Rolle professionell und selbstständig auszufüllen. Unterstützung bedeutet nicht: „Ich mache das für dich.“ Unterstützung bedeutet: „Ich helfe dir, es selbst zu tun.“ Wer sich als hauptamtliche/r Gewerkschafter*in in den Vordergrund drängt, schwächt das Gremium – und schadet am Ende der gewerkschaftlichen Sache insgesamt.
Fazit: Verantwortungsbewusste Gewerkschaftsarbeit kennt ihre Grenzen – und achtet sie
Gewerkschaftssekretär*innen, die ihre Arbeit ernst nehmen, kennen die Bedeutung klarer Rollen. Sie wollen keine Betriebsräte ersetzen – sie wollen starke Betriebsräte, die auf Augenhöhe agieren. Diese Haltung ist gelebte Gewerkschaftspraxis und unverzichtbar für den Erfolg kollektiver Interessenvertretung.
Wer als Gewerkschafterin versucht, selbst Betriebsratsarbeit zu übernehmen, verletzt nicht nur gesetzliche Regeln – er widerspricht auch dem Selbstverständnis gewerkschaftlicher Unterstützung. Deshalb gilt: Gute Gewerkschafterinnen halten sich zurück, wenn es nötig ist – und stehen zur Seite, wenn sie gebraucht werden. So funktioniert Solidarität in der Praxis.
Quellen und gewerkschaftliche Positionen: