Ein Rückschritt in die Vergangenheit: Die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit

Im neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde vereinbart, das die Regel der täglichen Höchstarbeitszeit gegen eine neue Regel der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ausgewechselt werden soll. Dieser Schritt ist ein klarer Bruch mit den arbeitsrechtlichen Errungenschaften, für die Generationen gekämpft haben – und ein Signal in die völlig falsche Richtung. Arbeitszeit darf keine Verfügungsmasse sein. Dass dann ausgerechnet die Sozialdemokrat*innen diesem Rückschritt zugestimmt haben, ist nicht weniger als eine politische Tragödie.

Die tägliche Höchstarbeitszeit – ein Schutzschild für Beschäftigte

Seit Jahrzehnten ist die tägliche Höchstarbeitszeit ein zentrales Element des deutschen Arbeitszeitgesetzes. Sie dient dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten, der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie der Planbarkeit des Arbeitsalltags. Sie ist ein Bollwerk gegen die völlige Vereinnahmung des Menschen durch seine Erwerbsarbeit. Die Idee, die tägliche Begrenzung durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu ersetzen, öffnet Tür und Tor für entgrenzte Arbeitszeiten – mit dramatischen Folgen. Denn wer die tägliche Begrenzung aufweicht, erlaubt Arbeitgebern, Beschäftigte über viele Tage hinweg zu extremen Arbeitszeiten zu verpflichten – 10 Stunden heute, 11 morgen, Hauptsache es pendelt sich irgendwo in der Woche ein. Die Erfahrung zeigt: Flexibilisierung in der Praxis bedeutet fast immer Flexibilisierung zu Lasten der Beschäftigten.

Eine Politik gegen den Menschen

Der 8-Stunden-Tag wurde in Deutschland im Jahr 1918 (in der Weimarer Republik) eingeführt. Und schon damals gehörte er zu einer der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung. Statt also zukunftsfähige Arbeitsbedingungen zu fördern, wird hier ein Arbeitszeitmodell etabliert, das Rückschritt bedeutet. Es ignoriert alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über Arbeitsbelastung, Erschöpfung, Unfallgefahr und langfristige Gesundheitsschäden durch überlange Arbeitszeiten. Längere Arbeitszeiten führen nicht zu höherer Produktivität, sondern zu mehr Fehlern, höherer Krankheitsquote und letztlich geringerer Effizienz. Dass diese Entscheidung in einer Zeit fällt, in der psychische Erkrankungen und Burnout-Diagnosen auf Rekordniveau sind, ist umso tragischer. Die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist eine Rückkehr zu Bedingungen, die wir längst überwunden glaubten.

Das Versagen der Sozialdemokratie

Das CDU und CSU das Thema Arbeitszeit so anpacken, ist keine Überraschung und sollte niemanden verwundern. Besonders bitter jedoch ist, dass die SPD, die Partei mit tiefen historischen Wurzeln in der Arbeiterbewegung, diesem Punkt zugestimmt hat. Die Sozialdemokratie hat über Jahrzehnte hinweg für soziale Errungenschaften gestritten und sich für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingesetzt. Mit dieser Zustimmung zum Koalitionsvertrag opfert die SPD ein zentrales Element gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik. Sie stellt sich damit auf die Seite der Arbeitgeberverbände, die seit Jahren versuchen, gesetzliche Arbeitszeitgrenzen zu schleifen. Die Partei hat immer noch nicht nicht begriffen, bzw. ignoriert schlichtweg, wie sie in der Arbeiter+innenschaft wieder Boden gutmachen kann, sondern verliert weiter an Glaubwürdigkeit und entfremdet sich immer mehr von ihrer historischen Kernklientel.

Eine Steilvorlage für den Rechtspopulismus

Doch der politische Schaden reicht noch weiter: Wer arbeitspolitisch den Schulterschluss mit wirtschaftsliberalen Interessen sucht und dabei die berechtigten Sorgen von Beschäftigten ignoriert, liefert genau jenen Kräften Argumente, die seit Jahren versuchen, sich als angebliche „Anwälte des kleinen Mannes“ zu inszenieren – allen voran die AfD. Diese Partei lebt davon, dass sich Menschen von den etablierten Parteien verraten fühlen – insbesondere diejenigen, die hart arbeiten, aber das Gefühl haben, politisch nicht mehr gehört zu werden. Wenn nun ausgerechnet die SPD, einst Stimme der Arbeiterschaft, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mitträgt, öffnet sie der rechten Demagogie Tür und Tor. Die AfD wird nicht zögern, dieses Thema auszuschlachten und sich abermals als einzige Alternative zum „System“ zu präsentieren – mit all den bekannten gesellschaftlichen Folgen. Wer den sozialen Kitt auflöst, riskiert politischen Zerfall.

Was zu tun ist: Widerstand und Aufklärung

Gewerkschaften können und dürfen diesen politischen Irrweg nicht akzeptieren. Sie müssen aufklären, mobilisieren und den gesellschaftlichen Diskurs darüber führen, was „gute Arbeit“ im 21. Jahrhundert bedeutet. Sie müssen ein Zurück zur täglichen Höchstarbeitszeit fordern, flankiert durch Mitbestimmungsrechte, flexible, aber gesunde Arbeitszeitmodelle und klare Regelungen zum Schutz der Beschäftigten. Es ist längst überfällig und an der Zeit, den richtigen Weg zu gehen – für eine moderne, faire und menschliche Arbeitswelt. Nicht rückwärts, sondern immer nur nach vorn.

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